Briefe von Reiner Kunze an Brigitte Reimann




Neue Rundschau 2017/4
„So gut wie möglich Kunst (Literatur) machen, Brigitte, das ist uns aufgetragen“ – Briefe von Reiner Kunze an Brigitte Reimann.
Hrsg. von Hans Jürgen Balmes, Jörg Bong, Alexander Roesler, Oliver Vogel. Mithrsg. dieser Ausgabe: Kristina Stella. Frankfurt am Main: S. Fischer 2017, ISBN 978-3-10-809112-5, 182 Seiten, Broschur, EUR 15.00
S. Fischer Verlag


Pressestimmen


„Wir sind gleichaltrig“, schreibt die Reimann. „Wir hassen den Militarismus in der Republik, dieses unausrottbare Preußentum und seine militante Sprache.“ Bekenntnisse, die in den Tagebüchern der 1973 gestorbenen Autorin zu finden sind, die im Blick auf Kunze nicht wenige eckige Auslassungsklammern liefern. Die werden jetzt nicht aufgelöst, aber etwas durchlässiger gemacht.
Christian Eger in „Mitteldeutsche Zeitung“, 04.01.2018

Der Leser verspürt eine innere Verbundenheit. Es ist eher Freundschaft als kollegiales Aufmuntern. Obwohl die Briefe von Reimann an Kunze fehlen, kann man ihre Zweifel an der eigenen Arbeit spüren.
Grit Warnat in „Volksstimme“, 03.01.2018


Leseprobe


Brigitte Reimanns und Reiner Kunzes Wege kreuzen sich zwanzig Jahre lang in freundschaftlicher Verbundenheit. Doch erst gegen Ende der sechziger Jahre, als die politische Fassade der DDR immer größere Risse bekommt und Reimann und Kunze ihre politischen Euphorien längst über Bord geworfen haben, zunehmend mit dem Literaturbetrieb in Konflikt geraten sind, zeigt sich die bedingungslose Loyalität, mit der sie einander vertrauen und helfen. Eine besondere Freundschaft, die mit dem viel zu frühen Krebstod Brigitte Reimanns ein abruptes Ende findet.

Brigitte Reimanns Briefe an Reiner Kunze sind leider nicht erhalten geblieben. Deshalb ist der vorliegende Briefband vor allem ein komprimierter Ausschnitt aus Reiner Kunzes Leben und gleichermaßen ein Querschnitt durch die wahrscheinlich wechselvollste und tragischste Zeit seines Lebens. Seine an Brigitte Reimann gerichteten Briefe spiegeln die Entwicklung beider junger Schriftsteller, die sich ohne große Worte gegenseitig Kraft, Halt und Unterstützung geben. Die – nach außen hin so gegensätzlichen – Künstler verbindet sehr viel mehr, als an der Oberfläche erkennbar ist.

Brigitte Reimann und Reiner Kunze sind äußerst sensible – ihre Freiheit über alles liebende – Individualisten, was allein schon ausreicht, um trotz literarischer Erfolge im Gesellschaftssystem der DDR immer wieder an Grenzen zu stoßen, als Bedrohung angesehen und ausgegrenzt zu werden. Beide wehren sich, auch wenn das ihrem Charakter, ihrem in Wahrheit scheuen Wesen, widerspricht, denn sie können und wollen Ungerechtigkeiten nicht ertragen. Sie machen sie öffentlich. Sei es durch aufsehenerregende Zeitungsartikel und Reden wie bei Brigitte Reimann oder durch Lyrikbände und Prosatexte mit schonungslosen Wahrheiten, die im Westen für Wirbel sorgen, bei Reiner Kunze. Sie sind Einzelgänger, die in früher Kindheit Krankheiten durchleben, die sie von ihren Altersgenossen isolieren. Die in dieser kindlichen Isolation damit beginnen, ihre Gedanken in schriftlicher Form zu ordnen und in der Zwiesprache mit sich selbst einen Ausweg aus der Einsamkeit entdecken. Sie werden viel zu früh erwachsen und sie suchen Vorbilder, an denen sie sich orientieren können. Ihre Familien bieten Schutz und Wärme, aber nicht den intellektuellen Rahmen, der ihre Gedankenwelt zu befriedigen vermag. Reimann und Kunze verfallen den sozialistischen Idealen im Glauben daran, hier wachse ein Staat, der sich Gerechtigkeit auf die Fahnen geschrieben hat und die Förderung aller Individuen gleichermaßen.

Der Subtext, der sich durch ihre Korrespondenz zieht, ist beider gesundheitliche Verfassung, die wie ein Seismograph auf die literaturpolitische Realität reagiert. Ihre Verbindung bedarf nicht vieler Worte, auch nicht vieler Briefe – in der Summe gesehen. Reiner Kunzes Briefe sind ein Zwiegespräch, in dem der Leser die Abwesenheit der Reimannschen Briefe kaum spürt, weil Brigitte Reimanns Stimme in den Zeilen des Lyrikers Reiner Kunze so präsent ist, als wäre sie da.

Die hier erstmals veröffentlichten Briefe Reines Kunzes an Brigitte Reimann sind auch deshalb ein besonderes Zeitdokument, weil sie genau jenen Lebensabschnitt der beiden Schriftsteller begleiten, in dem sich eine entscheidende Phase der DDR-Geschichte widerspiegelt: der Wechsel von der euphorischen Aufbruchstimmung der Anfangszeit, über die Auflehnung und das Nicht-wahrhaben-Wollen der Totalität des Gesellschaftssystems bis zum Rückzug ins Private und der scheinbaren Resignation, unter der es dennoch brodelt und aus dem das unvermeidliche Ende bereits zu erahnen ist. Ein Brief Siegfried Pitschmanns an Reiner Kunze aus dem Jahr 1960, ausdrücklich auch in Brigitte Reimanns Namen geschrieben, ergänzt den Band.